Fotos (v.o.n.u.): © B. Gebauer; Dieter Schütz, S. Hofschlaeger (11), Dieter Schütz, S. Hofschlaeger (2) / www.pixelio.de
Förderung mathematischen Denkens
Die Schwierigkeiten, die manche Menschen beim Rechnen haben, werden üblicherweise mit „Rechenschwäche“ bezeichnet. Auf dieser Seite soll der Schwerpunkt jedoch auf der Förderung liegen, da sich die Schwierigkeiten mit gezielter Förderung weitestgehend beheben lassen.
Allgemeines
Jedes Kind, jeder Mensch hat seine eigene Vorgeschichte, so dass es ein allgemeingültiges Rezept für den Umgang mit deren Schwierigkeiten nicht gibt.
Ein Beispiel soll jedoch verdeutlichen, dass es deswegen nicht an Durchblick fehlen muss: Wenn ein Laie durch ein Mikroskop schaut und z.B. Mikroorganismen betrachtet, die er nicht kennt, wird er keine Aussagen darüber machen können, was er da sieht. Vielleicht kann er Formen und Bewegungen beschreiben. Ein Experte jedoch wird genaue Zuordnungen machen können, um was es sich handelt, was sich dem Auge darbietet.
Ebenso verhält es sich mit allen zu einer Persönlichkeit gehörenden Eigenheiten, Stärken wie Schwächen, die ein geschulter Psychologe sehr genau differenzieren kann, während ein Laie auch mit dem bewährten „gesunden Menschenverstand“ nicht immer ins Schwarze trifft.
Mögliche Symptome bei Rechenschwierigkeiten
- Die gesamte Menge, die hinter einer Zahl steht, wird oft nicht begriffen, d. h. eine Zahl wird als „Position“ betrachtet wie z. B. der 7. oder 8. Finger an der Hand, wenn man eine Menge von 7 oder 8 mit Hilfe der Finger demonstrieren will.
- Folglich wird von dieser „Position“ in Einzelschritten vor- und zurück gehüpft, d.h. das Kind behält hartnäckig das Abzählen bei anstatt zu rechnen. Bei dieser Art von Abzählen kann z.B. eine Rechnung 5 + 7 = 2 ergeben, weil beim Weiterzählen mit dem 6. Finger wieder beim 2. Finger gelandet wird.
- Der Größenbezug zu Zehnern und Hunderten fehlt. Das Kind unterscheidet nicht zwischen den Stellen, rechnet bedenkenlos Einer und Zehner zusammen und vertauscht die Stellen beim Lesen, Schreiben und Rechnen.
- Aufgrund des fehlenden Größenbezugs kann die Zahl 69 – wegen der 9 – als größer gesehen werden als 70. So erkennt das Kind auch nicht, dass es bei einer Minus-Aufgabe als Ergebnis eine größere Zahl erhält. Es gibt groteske Schätzungen ab, z.B. „das Zimmer ist 100 m hoch“.
- Bei Subtraktionen wird wahllos abwechselnd addiert und subtrahiert, bei Multiplikationen wird auch addiert usw.
Ursachen
Bei der Frage zu den Ursachen sieht es ähnlich aus wie bei anderen Lernschwierigkeiten: Es besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass es die eine, eindeutige Ursache für Rechenschwierigkeiten ebenso wenig gibt wie für andere Lernschwierigkeiten. Meist sind mehrere Faktoren dafür verantwortlich. Wenn das Kind z.B.
- eine Außenseiterposition in der Klasse hat oder
- Probleme in der Familie oder
- einem Erziehungsstil ausgesetzt ist, der es unter großen Druck setzt oder seine Selbständigkeit stark einschränkt,
- wenn mehrfach ein Lehrerwechsel stattgefunden hat,
- wenn häufig der Unterricht ausgefallen ist,
- bei Mangel an Vorkenntnissen aus sonstigen Gründen.
- Natürlich können auch Mängel im Unterricht selbst dazu beitragen, dass Lernstörungen auftreten.
Je mehr Faktoren gleichzeitig zusammenkommen, desto größer ist die Gefahr, dass die Motivation des Kindes für das Lernen zusammenbricht, und dann bleiben die Misserfolge meist nicht lange aus.
Auf keinen Fall jedoch ist es eine Auswirkung von mangelnder Intelligenz oder Begabung. Es kommt oft vor, dass ein mit Schwierigkeiten im Rechnen betroffenes Kind in anderen Fächern gute bis überdurchschnittliche Leistungen zeigt. Nach jahrelangen Misserfolgen in einem so wichtigen Fach wie Rechnen (oder einem anderen wichtigen Fach) besteht jedoch die Gefahr, dass es irgendwann unweigerlich auch in anderen Fächern nachlässt, weil es dann beginnt, generell an sich zu zweifeln und sich für dumm zu halten. Allgemeine Abwehr gegen die Schule oder gar Angst davor kann die Folge sein. Als weitere Folge ist es möglich, dass das Kind immer mehr vermeidet, sich überhaupt mit Mathematik (bzw. dem sonst betroffenen Fach) zu beschäftigen, was die Situation noch weiter verschlimmert. Je nach Tendenz reagieren die Kinder dann unterschiedlich. Manche ziehen sich zurück, manche streiten heftig mit den Eltern wegen ihrer Verweigerungshaltung oder allen möglichen anderen „Nebenkriegsschauplätzen“, wieder andere binden sie als Zuwendung spendende Helferpersonen an sich (s. unter Fallbeispiele). Oft treten dann auch körperliche Symptome auf wie z. B. Bauchschmerzen, Kopfschmerzen, Schlafstörungen usw.
Gegenmaßnahmen
Um bei einem von Rechenschwierigkeiten betroffenen Kind Maßnahmen zu ergreifen, die ihm helfen sollen, müssen zweierlei Formen von „innerer Logik“ berücksichtigt werden:
- Die Logik der subjektiven Denkweisen und Rechenstrategien, die sich ein Kind gemacht hat, muss nachvollzogen werden können. Ohne die falschen Strategien zu erkennen, ist es nicht möglich, sie aufzudecken und zu korrigieren.
- Die innere Logik auf der psychischen Ebene, d.h. die Psychologie eines Schulkindes, das sich als gescheitert wahrnimmt, in den Wechselwirkungen zum Verhalten von Lehrern, Familienmitgliedern und Klassenkameraden sowie Freunden.
Beides gilt gleichermaßen für alle Lernschwierigkeiten: Erst eine genauere Analyse der subjektiven Lösungsstrategien kann den richtigen Ansatz zu Hilfsmaßnahmen liefern. Bei ausgeprägten Rechenschwierigkeiten werden manche Rechenwege oder Denkweisen, die sich ein Kind aus seiner subjektiven Sicht zurechtgelegt hat, von Nicht-Experten nicht verstanden. Je nach persönlicher Tendenz lösen sie zunächst Kopfschütteln aus oder rufen sonstige Reaktionen hervor, die nicht nur nicht hilfreich sind, sondern den Schaden vergrößern. Wenn einem Elternteil z.B. leicht der Geduldsfaden reißt angesichts dieser Situation, ist es ratsam, das Kind beim Rechnen lieber anderen Personen zu überlassen.
Bei Kindern mit besonderen Rechenschwierigkeiten ist es also ganz besonders wichtig,
- die vorhandenen mathematischen Denkweisen – so „falsch“ sie objektiv auch sein mögen – ernst zu nehmen und erst einmal
- selbst zu verstehen, warum diese Denkweisen für das Kind eben doch offenkundig ihre „Richtigkeit“ haben.
Wenn ein Kind sich in einseitigen Strategien schon verfangen hat, zieht das weitere Folgeschwierigkeiten nach sich, und so hat es sich ein ganzes Gebäude an falschen Vorstellungen über Rechenoperationen eingeprägt. All diese gedanklichen Konstruktionen des Kindes müssen erst einmal erkannt werden und können somit nur nach und nach aufgelöst und abgebaut werden.
Ausblick
Nicht nur Lernschwierigkeiten unterschiedlicher Art, sondern auch ausgeprägte Rechenschwierigkeiten lassen sich beheben. Je nach Konstellation können sich solche Schwierigkeiten in vielen Fällen schon in etwa 1 ½ bis 2 Jahren so deutlich verbessern, dass der oder die Betreffende den Unterrichtsstoff zuversichtlich bewältigt. Voraussetzung: Ein darauf spezialisierter Experte befasst sich mit Ihrem Kind.
Das gilt auch für den Fall, wenn die Situation über längere Zeit bestanden hat. Dabei ist es kein Wunder, wenn dem Kind die Freude an der Mathematik (zunächst) gründlich abhanden gekommen ist. Diesen Hintergrund im Blick zu haben, gilt bei der Begleitung von Kindern mit Rechenschwierigkeiten ebenso wie bei Kindern mit anders gearteten Lernschwierigkeiten.
Für alle, ob von Schwierigkeiten beim Rechnen oder in anderen Lernfächern Betroffene – auch für die „normal lernenden“ Schüler – gilt gleichermaßen:
Mathematisches Denken muss dort korrigiert und ergänzt werden, wo es an der mathematischen Realität vorbeigeht (in anderen Fächern gilt Entsprechendes).
Die Korrektur kann nur wirksam werden, wenn sie eine Leistung des Kindes selbst ist – auch wenn diese durch Förderung vielleicht erst ermöglicht wurde.
Mathematische Inhalte müssen ohne verfälschende Vereinfachungen durch Problem- und Hilfestellungen so vermittelt werden, dass dem Kind ausreichende Erfolgserlebnisse beschert werden, die seine Motivation stärken.
Ergänzende Hinweise zur Unterstützung des Lernprozesses
Bitte bringen Sie dem Kind vor allem Verständnis, Verständnis, Verständnis entgegen, ob Sie nun seine Eltern sind, sein Lehrer / seine Lehrerin oder auch alle anderen, die mit ihm zu tun haben!
Auch kleine Fortschritte sollten beachtet und anerkannt werden – das ermutigt die Kinder, denn sie gehören zum Erfolg und stärken die Motivation!
Mit den Kindern ÜBEN kann nur dann Fortschritte bringen, wenn ein klares Bild vorliegt, was an dem zu übenden Stoff nicht oder falsch verstanden wurde.
Bei größer werdenden Problemen könnte es aufschlussreich sein, wenn die Eltern mehr auf die Eigenarten der Fehler ihrer Kinder achten – vielleicht können sie dabei eine Linie erkennen. Darauf mit mehr Üben zu reagieren und mehr „Tricks und Tipps“ zum Besten zu geben, kann in manchen Fällen zu weiteren Rückschlägen führen.
Ob „Tipps und Tricks“ bei den Kindern als Hilfen ankommen oder als Verwirrung, hängt von ihrem mathematischen Vorwissen ab. Wenn Missverständnisse nicht erkannt und aufgeklärt werden, werden nicht nur falsch verstandene Regeln eingeprägt, sondern sie werden dann auch bestätigt und wiederholt.
Wenn Sie als Eltern mit Ihrem Kind lernen, lassen Sie es bitte selbst Fragen aufwerfen und Lösungen vorschlagen.
Wenn Sie mit Ihrem Kind üben, wäre es ideal, wenn es erleichtert sagen kann: „Ach, sooo geht das!“
Übungen und Aufgaben, die ein Kind schon gut kann, können in gewissen Zeitabständen wiederholt werden. Das festigt die Sicherheit und somit das Selbstvertrauen.
Bei manchen Kindern scheint eine Merkschwäche vorzuliegen (z. B. bei Kindern, die mit den erwähnten Schwierigkeiten konfrontiert sind). Diese sind jedoch eine Folge und nicht die Ursache der Lernstörung, denn eine völlig sinnlos erscheinende Sache, von der man noch nichts verstanden hat, kann sich niemand gut merken.
Ein Kind, dass sich an viele Dinge ausgezeichnet erinnert und nur beim Rechnen (oder in einem anderen Fach) sehr vergesslich ist, hat keine Gedächtnisstörungen.
Wenn die „einfachsten“ Grundlagen fehlen, müssen sie auch aufgearbeitet werden, wenn das Kind oder der Jugendliche schon in einer höheren Klasse angekommen ist.
Äußerungen wie „Das verstehe ich sowieso nie“ kommen nicht durch einen ein für alle Mal angelegten „Defekt“ zustande, sondern sind immer das
VORLÄUFIGE RESULTAT VON LERNPROZESSEN !
Kosten
Bei der Diagnose „Rechenschwäche“ werden unter bestimmten Voraussetzungen die Kosten vom Jugendamt übernommen. Das Kind braucht dann
- einen anerkannten Test, der die Diagnose „Rechenschwäche“ ergeben hat und durch eine vom Therapeuten unabhängige Fachperson durchgeführt worden ist,
- ein ärztliches oder psychotherapeutisches Gutachten, aus dem hervorgeht, dass das Kind nach § 35 a SGB VIII Anspruch auf Eingliederungshilfe hat,
- eine Bescheinigung der Schule, dass die dort angewendeten Hilfen sich als nicht ausreichend erwiesen haben, die vorhandene Störung zu beheben.
Leider muss die Übernahme der Kosten in den meisten Bundesländern eingeklagt werden, auch wenn die vorgenannten Voraussetzungen gegeben sind.
Probestunde: kostenlos
Einzeltherapie: 40,00 Euro pro Stunde (60 Min.)